Gegen den Trend: Junger Schreinermeister übernimmt Betrieb
Moritz Schumacher hat sich gegen Studium und Landflucht entschieden. Stattdessen leitet er als junger Meister seit Beginn des Jahres seinen eigenen Betrieb.
Der Odenwald. Land- und Forstwirtschaft bestimmen das Bild. Die Metropole Frankfurt ist 80 Kilometer entfernt. Hier ist Moritz Schumacher zu Hause. Hier leben seine Freunde, hier ist er aufgewachsen und zur Schule gegangen. Das ist noch nicht allzu lange her. Schumacher ist 1994 in Heppenheim geboren – und seit Beginn dieses Jahres Chef der Schreinerei Bellut in Oberzent. Ist er dafür nicht zu jung, zu unerfahren, zu leichtsinnig, zu grün hinter den Ohren …? Die Liste der Bedenken, die mit „zu“ beginnen, ist lang.
„Ich habe von Anfang an gewusst, dass ein eigener Betrieb viel Arbeit macht, viel Verantwortung bedeutet, viel Engagement verlangt …“ – die Liste mit Schumachers Antworten, die mit „viel“ beginnen, ist mindestens ebenso lang. „Schon kurz nachdem ich in die Geschäftsführung mit eingestiegen bin, wusste ich, was Selbstständigkeit bedeutet“, erzählt Schumacher.
Laut Aussagen seines Meisters Jürgen Bellut war er schon als Azubi ein Ausnahmetalent – und Bellut auf der Suche nach einem Nachfolger. Als Moritz 2015 mit der Ausbildung fertig ist, bestärkt ihn sein Lehrherr in der Entscheidung, die Meisterschule zu besuchen. Für sein Meisterstück – einen Kickertisch – bekommt Schumacher eine Auszeichnung. Heute steht das gute Stück über der Werkstatt im Büro des jungen Chefs. Hier sitzt er zumeist, zeichnet, telefoniert oder schreibt Rechnungen. In der Werkstatt oder an den Maschinen ist Schumacher nur noch selten anzutreffen.
Die Auftragslage ist sehr gut
Den Kickertisch baut er gern nach, wenn ein Kunde es wünscht. Bislang ist er zwar ein Einzelstück geblieben, aber das ist nicht schlimm, denn es gibt genug Arbeit: „Wir sind bis oben hin voll mit Aufträgen“, sagt Schumacher. Dennoch bleibt er auf dem Boden: „Wir sind ein sehr gutes, eingespieltes Team. Weiter wachsen müssen wir nicht unbedingt“, stellt er den Sinn des Wachstums infrage. Die wichtigsten Standbeine des Betriebs sind Möbel und Treppen. So war es schon bei Bellut. Aber nicht alles ist so geblieben, wie es bei Bellut war: Der Senior-Chef hatte schon damit begonnen, aber mit Schumacher ist der Betrieb noch digitaler geworden. Gezeichnet wird natürlich mit den üblichen Programmen, der Auftrag wird direkt an das CNC-Bearbeitungszentrum übergeben. Für das Aufmaß beim Kunden nutzt Schumacher die aktuelle Lasertechnik. Das beugt Fehlern vor und ermöglicht es, Kundenwünsche dreidimensional zu visualisieren. „Jürgen hat mir einen sehr gut aufgestellten Betrieb übergeben, aber junge Menschen denken eben digitaler als die Generation vor uns“, sagt Schumacher.
Junge Menschen wandern ab
Gewöhnlich verlassen junge Menschen die Region. Zu langweilig, zu strukturschwach, zu wenig Perspektive. In den vergangenen Jahren ist die Bevölkerungszahl stets gesunken. Der Trend verlangsamt sich zwar, hält aber noch an. Schumacher hat sich ganz bewusst gegen die Abwanderung entschieden.
Schon in der Schule entwickelt er Spaß an handwerklichen Arbeiten, besonders mit Holz. Als er 2012 die Realschule verlässt, entscheidet er sich dagegen, Abitur zu machen. „Viele meiner Freunde haben das Gymnasium besucht und sind fürs Studium weggezogen. Meine Eltern sind beide Akademiker. Ich wollte aber ins Handwerk und ich wollte hier bleiben“, begründet er seine Entscheidung. Einmal war er dann doch länger weg: Mit einem Freund zusammen ist er Anfang 2016 kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten gereist. Natürlich im selbstgebauten Wohnmobil.
Kaum zurück, ging es weiter mit der Karriere im Handwerk: Schumacher wurde Geschäftsführer der Schreinerei Bellut GmbH und gleichberechtigter Mitinhaber. Zwei Jahre lang hat ihn sein Meister noch begleitet, zum Jahreswechsel 2018/2019 zog sich Jürgen Bellut aus der Schreinerei zurück. „Er ist aber noch als Berater für mich da, wenn ich ihn brauche“, sagt Schumacher.
Auf die Frage, wo er sich und den Betrieb in 10, 20 oder 40 Jahren sieht, reagiert der junge Schreinermeister verhalten: „Wenn ich genau wüsste, wie sich alles entwickelt, wäre ich meiner Zeit voraus“, sagt er. „Sicher ist, dass die Digitalisierung auch im Handwerk weiter zunehmen wird. Sicher ist auch, dass wir hier am Standort bleiben. Und im Moment ist alles gut so, wie es ist. Ich bin genau dort, wo ich sein möchte.“ (Thomas Vahle)
Web-Wegweiser: www.schreinerei-bellut.de