Tischler aus Tradition
Auf dem Dorf ist die Welt manchmal noch in Ordnung: Qualifizierter Nachwuchs ist kein Problem, sondern selbstverständlich – wenn der Betrieb breit aufgestellt ist.

Praktikanten sind wichtig: Einige Tage in der Tischlerei zeigen, ob sie für den Beruf geeignet sind. (Foto: Vahle)
Einzel- und Serienfertigung, Jugendliche mit und ohne Handicap zu Fachkräften qualifizieren – alles Themen, die das Tischler- und Schreinerhandwerk kennt oder kennen sollte, meint Kai Wehrhahn. „Für uns ist das nichts Neues, das gibt es in unserem Betrieb schon seit Jahren“, erzählt der Tischlermeister aus Nettelrede, unweit von Hameln im Weserbergland gelegen. Doch fangen wir von vorne an …
Traditionsbetrieb mit langer Geschichte
Die Wehrhahns sind Tischler aus Tradition – wie viele Menschen aus dieser waldreichen Region. Schon der Großvater hatte einen eigenen Betrieb, Vater Wilfried jedoch gründete 1963 die Tischlerei Wehrhahn, wie sie heute zwischen Hannover und Hameln bekannt ist. „Ich war als kleiner Junge schon immer in der Werkstatt. Wenn meine Mutter mich gesucht hat, musste sie nur dort nachschauen“, erzählt Kai Wehrhahn über einen Lebensweg, der weitgehend vorgezeichnet war.
Selbstverständlich macht er eine Ausbildung zum Tischler. Allerdings nicht im väterlichen Betrieb, das will der Chef nicht. Sein Junge soll mehr sehen als das häusliche Umfeld. Kai macht nach der Ausbildung seine Fachhochschulreife, arbeitet ein Jahr lang am Bodensee. Nach seiner Rückkehr belegt er Lehrgänge zum Holztechniker und Betriebswirt des Handwerks, „ganz nebenbei“ legt er noch seine Meisterprüfung ab.
„Das waren zwei harte Jahre, ich würde es heute anders machen“, sagt er. Und eigentlich wollte der heute 51-Jährige noch ins Ausland, das war Wilfried dann aber doch zu viel Freiheit. „Vater hatte Angst, dass ich nicht wiederkomme. Dass ich den Betrieb eines Tages übernehme, das war ihm sehr wichtig“, sagt Kai Wehrhahn.
Ab 1996 arbeitet er als Meister im Betrieb, 2006 übernimmt er offiziell die Tischlerei im beschaulichen Nettelrede. Sein Vater war bis wenige Monate vor seinem Tod jeden Tag in der Werkstatt. Im vergangenen Jahr ist er gestorben. „Er fehlt hier tatsächlich“, sagt Kai über seinen alten Herrn.
Moderne Maschinen und Inklusion
Ein Hemmschuh ist der Senior nie gewesen und Neuerungen stand er aufgeschlossen gegenüber. „Unsere erste CNC haben wir schon 2001 bekommen, das war eine große Investition für uns. Wir haben sie Hubert genannt, nach einem Altgesellen, den wir in den Ruhestand verabschiedet hatten“, erzählt Kai Wehrhahn.
Inzwischen ist auch die CNC Hubert in den Ruhestand gegangen und durch eine andere ersetzt worden. Nicht geändert hat sich die Besetzung an der Maschine: Dort arbeitet der gehörlose Kollege, der 1995 bei den Wehrhahns in die Ausbildung ging und sich zum Spezialisten für die CNC-Bearbeitung entwickelt hat. Das, was heute unter den Begriff „Inklusion“ fällt, gibt es in Nettelrede schon seit 24 Jahren.
Breites Leistungsspektrum

Einige Mitarbeiter haben ihr Handwerk noch bei Wilfried Wehrhahn gelernt … (Foto: Vahle)
„Die CNC ist der Dreh- und Angelpunkt im Betrieb. Hier fertigen wir Einzelteile und Serien für die Möbelindustrie“, erzählt Kai Wehrhahn. Ein wichtiges Standbein. Zudem übernimmt die Tischlerei Trocken- und Innenausbauten, baut Fenster und Türen ein, fertigt Möbel für private Kunden und tummelt sich im Messebau. „Von unternehmerischer Monokultur halte ich nichts“, sagt er.
Bei allen Entscheidungen hat Vater Wilfried mitgezogen. Nur einmal war er offensichtlich mit seinem Sohn nicht ganz so zufrieden: „Ich habe 2006 insgesamt 17 Maschinen verkauft und dafür 3 neue angeschafft. Vater hat es tapfer getragen, aber er hat sich zwei Wochen lang nicht im Betrieb blicken lassen“, erzählt der Tischlermeister. Danach war alles wieder gut. „Die Freiheiten, die er mir gelassen hat, meine Verantwortung gegenüber anderen und meine Verantwortung für mich selbst haben mich sehr geprägt“, ist Kai Wehrhahn sicher.
Lehrlinge zu Fachkräften ausbilden

… andere sind erst bei Kai Wehrhahn in den Betrieb gekommen. (Foto: Vahle)
Diese positiven Erfahrungen will er an seine Azubis weitergeben, von denen er für gewöhnlich zwei beschäftigt. Und hier kann der 51-Jährige auf eine lange Serie des Erfolgs zurückblicken: Fünf wurden für ihre Arbeiten im Wettbewerb „Die Gute Form“ prämiert, drei waren Innungsbeste.
„Ich habe nie Probleme gehabt, gute Lehrlinge zu finden, die standen einfach irgendwann vor der Tür“, erzählt der Meister. Zudem bietet Wehrhahn jedem Auszubildenden die Möglichkeit, für drei Wochen im Ausland zu arbeiten. „Beispielsweise in Norwegen oder auf Malta. Es ist wichtig, dass die jungen Leute zumindest für eine kurze Zeit etwas anderes sehen“, sagt der Tischlermeister. Dafür gibt es drei Wochen bezahlten Urlaub; die Handwerkskammer unterstützt das Programm und bietet es auch für andere Berufe an.
„Ich mache das nicht, damit ich gut dastehe, sondern wir brauchen qualifizierten Nachwuchs in unserem Handwerk“, sagt Kai Wehrhahn bescheiden. Nach diesem Grundsatz hat scheinbar auch Vater Wilfried schon ausgebildet: Die meisten der aktuell sechs Gesellen haben noch bei ihm gelernt. (tv)